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Ayurveda-Literatur

Über Ayurveda gibt es viele klassische Schriften und viele moderne Werke. Die wichtigsten Klassiker und ein paar deutschsprachige Werke sollen hier kurz vorgestellt werden.

Ayurvedische Literatur – die Klassiker

Aufgrund von vier Unzulänglichkeiten – unvollkommene Sinne, der Täuschung unterliegen, Fehler begehen und die Neigung zu betrügen – ist es nicht möglich, sich vollkommenes Wissen über eine Sache allein durch Wahrnehmung und Folgerung anzueignen. Der vedische Weg der Aneignung von Wissen besteht deshalb darin, vollkommenes Wissen von autorisierten Lehrern (acaryas) zu empfangen. So kam auch Ayurveda zu den Menschen. Prajapati Dakṣa empfing diesen Veda von Brahma, die beiden Ashvinī-kumara genannten devas (Halbgötter) empfingen das Wissen von Prajapati. Indra, der König der himmlischen Planeten und Herr über Regen, Donner und Blitz, empfing es von den Ashvinīs, zwei großen Ärzten der Halbgötter. Der Weise Bharadvaja empfing es von Indra, Punarvasu Atreya und andere Weise empfingen es von Bharadvaja. Agnivesha, ein Schüler Atreyas, ist der nächste in der Kette. Er legte als erster ein schriftliches Kompendium über Ayurveda vor – bekannt als Agnivesha-tantra –, welches später, ein paar Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung, von dem Arzt und Philosoph Caraka erweitert und überarbeitet wurde und unter dem Namen Caraka-Saṃhitā Berühmtheit erlangte. Agnivesha wird im Mahabharata als Schüler Bharadvajas und als Guru König Drupadas und Dronacaryas [Personen, die im großen Epos Mahabharata eine bedeutende Rolle spielen] erwähnt.

Agnivesa-tantra existiert leider nicht mehr und es läßt sich auch nicht feststellen, wann genau in der Geschichte sie verfaßt wurde. Carakas Edition wurde dann im 4. Jahrhundert n.Chr. noch einmal von Dridhabala überarbeitet. Er rekonstruierte das letzte Drittel – Siddhi- und Kalpasthana und 17 Kapitel des Cikitsasthana, die aus irgendeinem Grund beschädigt worden waren, anhand von relevantem Material aus verschiedenen Abhandlungen. Dridhabalas Überarbeitung enthält auffällig viele Rezepte, die Fleisch enthalten – zwar nicht von Kühen, deren Tötung in der ayurvedischen Kultur absolut tabu ist – sondern hauptsächlich von wild lebenden Tieren, aber auch von Ziegen, Schafen, Vögeln wie Pfauen, Rebhühnern etc. und anderen Tieren. Haustierhaltung zum Schlachten der Tiere gab es nicht im Varnashrama, dem vedischen Gesellschaftssystem. Ich denke, es ist offensichtlich, daß Dridhabala aus einer Zeit und Region stammt, wo das vedische Gesetz der Gewaltlosigkeit allen Lebewesen gegenüber weniger ernst genommen wurde.

Mit der Caraka-samhita haben sich nach ihrem Erscheinen im Laufe der Jahrhunderte bis in die heutige Zeit noch viele Gelehrte beschäftigt und ihre Kommentare dazu geschrieben. Zwei der bedeutendsten von ihnen sind Bhattara Harishcandra (5.–6. Jahrhundert n.Chr.) und Cakrapanidatta (11. Jahrhundert) mit ihren Werken Caraka-nyasa bzw. Ayurveda-dīpika.

Im 11. Jahrhundert wurde die Caraka-samhita ins Persische und ins Arabische übersetzt und Ende des 19. Jahrhunderts das erste Mal ins Englische. 1949 erschien eine englische Edition von Shree Gulabkumar. Danach wurden in jüngster Zeit noch zwei Editionen mit Originalversen und englischer Übersetzung des Textes veröffentlicht – die eine mit einem umfangreichen Anhang der Flora und Fauna der Caraka-samhita, anatomischem Vokabular, therapeutischen, pathologischen Begriffen etc. von Prof. Priyavrat Sharma und die andere von R.K. Sharma und B. Dash. Letztere Ausgabe enthält auch Cakrapanis Kommentare. Außer den Übersetzungen in verschiedenen indischen Sprachen und in Englisch gibt es kaum Übersetzungen in anderen Sprachen, obwohl dieses Werk heute in vielen Schriften und Aufsätzen häufig erwähnt wird in bezug auf Ayurveda und Medizin im allgemeinen.

Es gibt noch zwei andere große Werke über AyurvedaSusruta-samhita und Astanga-hridayam – und ein paar kleinere klassische Werke – Bhavaprakasa, Sarngadhara-samhita, Madhava-nidanam. Andere, jüngere ayurvedische Schriften, wie Bhaisajya Ratnavali und Yoga Ratnakara, beschäftigen sich hauptsächlich mit Therapeutik und Pharmakologie. Von diesen ist Bhaiṣajya Ratnāvalī mit der Beschreibung hunderter Rezepte inkl. Herstellung und Menge der verwendeten Bestandteile das umfangreichste Werk.

Von der Suśruta-saṃhitā nimmt man an, daß sie in der gleichen Epoche entstand wie die Caraka-samhita. Astanga-hridayam ist etwas später erschienen, die Sarngadhara-samhita im 15. Jahrhundert n.Chr., Bhavaprakāśa im 16. Jahrhundert n.Chr. und Madhava-nidanam um 700 n.Chr. Die drei großen Klassiker des Ayurveda unterscheiden sich in der Betonung verschiedener medizinischer Aspekte, dem Umfang des Wissens und der Art der Wissensvermittlung voneinander. Die Suśruta-saṃhitā beschäftigt sich umfassend mit chirurgischem Wissen, das besonders wichtig war für die Behandlung der Auswirkungen von Kriegen (durch Waffen hervorgerufene Wunden etc.). Im Gegensatz zu Susruta-samhita und Aṣṭāṅga-hṛdayam vermittelt die Caraka-saṃhitā grundlegendes spirituelles Wissen der Sankhya-Philosophie und enthält auch Konzepte der Vaisesika-, Nyaya- und Yoga-Philosophie. In der Caraka-saṃhitā wird Ayurveda am umfassendsten erklärt und deshalb gilt sie als das wichtigste Werk über die Wissenschaft vom Leben.