Bild Header

Ayurveda – Therapien

Dreifache Unterteilung der Therapie

Therapie kann zweifach unterteilt werden in:

➤ (1) Therapie, die Stärke und Immunität des Körpers fördert und

➤ (2) Therapie, die Krankheiten beseitigt.

Zur ersten Gruppe gehören rasayana (Verjüngungstherapie) und vajikarana (Therapie zur Förderung der Fruchtbarkeit mit dem Ziel gesunde Nachkommen zu zeugen). Beide Therapie-Arten erfüllen beide Funktionen (Förderung von Stärke und Immunität und Beseitigung von Krankheiten), werden jedoch speziell angewandt.

Die zweite Gruppe wird dreifach unterteilt in (1) rationale (2) psychologische und (3) spirituelle Therapie.

Yuktivyapaśriya – rationale Therapie

Die rationale Therapie (yuktivyapaśriya) besteht in der Verordnung von Drogen und Diät. Bei Störungen der doṣas werden entsprechend der Störung drei Arten von Therapien angewandt – (1) antahparimarjana (innere Reinigung), (2) bahihparimarjana (äußere Reinigung) und (3) śastripranidhana (chirurgische Operation). Innere Reinigung bedeutet die Therapie, die durch Einnahme von Drogen und durch Diät die Störungen beseitigt; äußere Reinigung ist die Therapie, die durch abhyanga (Ölmassage), svedana (Schwitzkur; Dampfbäder), pradeha (Pasten), pariśeka (Besprengelung)1 etc. die Störungen beseitigt, und chirurgische Operation umfaßt Einschneiden, Herausschneiden, Punktieren, Abkratzen, Anwendung von Alkali und Blutegeln etc.2

Sattvavajaya – psychologische Therapie

Psychologische Therapie (sattvavajaya) bedeutet Abwendung des Geistes von unheilvollen Objekten und Wünschen. Geisteszustände wie Kummer, Furcht, Begierde, Neid, Habgier, Zorn etc. wirken sich auf die doṣas aus. Kummer, Furcht, Lust und Zorn können zum Beispiel Fieber hervorrufen und im Fall von Kummer kann Abmagerung und sogar Tod die Folge sein. Zorn und Neid regen pitta an und Kummer, Furcht, Lust und Begierde regen vāta an. Hervorgerufen werden sie durch Anhaftung unter dem Einfluß von rajas und tamas. Der Ursprung solcher Anhaftungen des Geistes ist die falsche Identifikation der bedingten Seele mit ihrem Körper. Starke Anhaftung des Geistes an bestimmte Objekte und Wünsche, die nicht erlangt bzw. erfüllt werden, und Verlust von Objekten, an die man sehr angehaftet war, führen zur Erregung der doṣas und können verschiedene Krankheiten verursachen, besonders wenn die doṣas auch noch durch falsche Diät und Lebensweise gestört werden.

„Anhaftung führt zu Lust und Lust führt zu Zorn“ heißt es in der Bhagavad-Gita. Anhaftung entsteht aus Betrachten, d.h. aus dem intensiven Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten (Klang, Berührung, Form und Farbe, Geschmack, Geruch). Der Geist, das Sammelbecken aller Sinneseindrücke, verweilt dann bei den Sinnesobjekten, selbst wenn kein sinnlicher Kontakt mehr vorhanden ist und die Sinnesobjekte werden im Geist in Wünsche und Vorstellungen des Genusses umgewandelt, von deren Erfüllung man sich Glück und Freude verspricht. Es brodelt und gärt im Geist und wenn die Erfüllung der Wünsche nicht verwirklicht werden kann, entsteht Zorn oder Frustration, die eine introvertierte Art von Zorn ist. Aber selbst wenn die Wünsche erfüllt werden, können Zorn oder Frustration sich einstellen, weil das Resultat nicht das gibt, was man sich vorgestellt oder erwartet hat.

Durch unheilvolle Fixierung des Geistes auf bestimmte Objekte und Wünsche schädigt man nicht nur sich selbst. Millionen von Lebewesen haben schon unter dem Zorn und dem Haß von Menschen leiden müssen und Millionen leiden unter der Habgier anderer Menschen. Um bestimmte Vorstellungen ihres Geistes in die Tat umzusetzen, bestimmte Wünsche zu erfüllen, gehen manche Personen über Leichen und die Folgen für andere Lebewesen kümmern sie wenig. Es gibt genug Leute, die durch ihren unreinen, unkontrollierten Geist zahllose Schwierigkeiten schaffen. Das kann soweit gehen, daß die ganze Erde zu einem unbewohnbaren Ort wird, wo kein Mensch mehr ein „normales“, gesundes Leben führen kann.

Wie wendet man den Geist von unheilvollen Objekten und Wünschen ab? Erst einmal braucht man Wissen über die Folgen der Anhaftung. Dafür ist Intelligenz notwendig. Dann ist Selbstdisziplin gefordert und dafür braucht man Willenskraft. Wissen und Intelligenz allein nützen wenig, wenn man keine Willenskraft besitzt, den Geist zu kontrollieren. Der materialistische Geist wird am besten geläutert und kontrolliert, indem man ihn auf die Persönlichkeit Gottes fixiert, indem man vedische Schriften wie Bhagavad-Gita und Mahabharata studiert, heilige mantras rezitiert u.a. spirituelle Tätigkeiten in Verbindung mit dem Höchsten Herrn ausführt.

Daivavyapaśriya – spirituelle Therapie

Die spirituelle Therapie (daivavyapaśriya) besteht im Rezitieren von mantras, dem Tragen von Edelsteinen und bestimmten Wurzeln (z.B. Ashvagandha),3 in yajñas (Opferungen), prayascitta (Bußen), Pilgerfahrten, im Erbitten von Segnungen und pranama, dem Erweisen von Ehrerbietungen (zu Göttern und Heiligen), etc. Sie wird hauptsächlich angewandt bei Krankheiten, die durch rationale und psychologische Therapie nicht geheilt werden können. In Caraka-Saṃhitā heißt es:

„Der Arzt sollte seine Hingabe zu Atharva-Veda bekunden, denn unter den vier Vedas behandelt Atharva-Veda Medizin, indem er zur Förderung des Lebens das Geben von Spenden (dana), verschiedene Opferungen (bali-mangala-homa), das Befolgen bestimmter Regeln und Beschränkungen (niyama), Bußen (prayascitta), das Rezitieren von mantras etc. vorschreibt, und Medizin existiert zur Förderung des Lebens.“ (Caraka-Saṃhitā, Sutrasthana 30.21)

Im Atharva Veda gibt es auch eine Reihe von Gebeten und Beschwörungen, durch die jvara (Fieberformen), rajayaksma (Phthisis) und andere ernste Störungen beseitigt werden sollen. Dabei rufen der Kranke oder seine Fürsprecher Agni, Surya, Soma und andere Götter an, die Krankheit zu vertreiben oder sie beschwören bestimmte mächtige Heilpflanzen, die Krankheit zu besiegen. Voraussetzung dafür ist natürlich Vertrauen und Wissen um kosmische Zusammenhänge, Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Göttern und Menschen etc.

In alter Zeit war daivavyapasriya die hauptsächlich angewandte Therapie zur Heilung von Krankheiten. Sie ist die dem tiefgründigen, ganzheitlichen Verständnis der Menschen angemessene Therapie. Da die meisten Menschen ein frommes Dasein führten und Erde, Gewässer, Luft etc. noch rein waren, gab es mit Sicherheit wesentlich weniger Kranke als heute. Die Heilung mit grobstofflichen, nach ayurvedischem Wissen hergestellten und angewandten Medikamenten, ist später und besonders im kali-yuga, dem jetzigen Zeitalter, dem Zeitalter des Streites und der Heuchelei, dem Maschinen- und Technikzeitalter, in welchem tamo-guna, die Erscheinungsweise der Unwissenheit, immer stärker wird, prominent. Aber auch sie ist ohne ein holistisches Verständnis, das Körper, Geist, Selbst, Universum, Götter, Tätigkeiten usw. berücksichtigt, effektlos oder minder effektiv.

Mantras sind in der Essenz Lobpreisungen, Anrufungen, Gebete zum Höchsten Herrn, durch die das Bewußtsein der bedingten Seele geläutert wird und durch die die hingegebene Seele Befreiung aus der Knechtschaft des materiellen Daseins und Liebe zu Gott erlangen kann. Aber auch Klangschwingungen und Sprüche, denen eine bestimmte Kraft innewohnt, werden in den Veden als mantras bezeichnet. Ein mantra ist also nicht einfach nur irgendein Wort oder ein Satz, das/der suggestiv – von wem auch immer und zu welchem Zweck auch immer – ständig wiederholt wird und ist auch keine Zauberformel, um materielle Wünsche zu erfüllen. Die Erfüllung materieller Wünsche kann aber durchaus ein Nebenprodukt der Mantra-Meditation sein. Mantra-Meditation ist kein mechanischer Vorgang und das Ergebnis ist es auch nicht. Halbgötter wie Brahma, Siva, Durga etc. können jemandem, der sie mit bestimmten mantras verehrt, materielle Segnungen gewähren, müssen es aber nicht.

Im Ayurveda werden verschiedene mantras rezitiert, zum Beispiel:

om śri dhanvantaraye namah
om śankham chakram jalankam dadhad amrta ghatam caru dorbhiś chaturbhih |
sukṣma svacchati hrdyamśuka pari vilasan maulim bhoja netrum ||
kalam bhodojjvalangam kati tata vilasac charu pitambaradhyam |
vande dhanvantarim tam nikhila gada vana praudha davagni lilam ||

Mit diesen mantras wird Sri Dhanvantari, der Avātara der Medizin, verehrt.

Wer Heilung von schwerer Krankheit erstrebt, kann bei dieser Gottheit der Medizin auch mit folgendem mantra Zuflucht suchen:

achyutānanta govinda viṣṇo nārāyana hare
rogan may nāśaya aśeshan āśu dhanvantari hare
„O Achyuta, Ananta, Govinda, Vishnu, Narayana, Hari, Dhanvantari!
Bitte zerstöre all meine Krankheiten rasch und vollständig.“

Echte ayurvedische Ärzte und Apotheker, die ihre Heilmittel selbst herstellen, „imprägnieren“ ihre Präparate seit altersher mit bestimmten mantras. Die Heilmittel werden dadurch von den angerufenen Göttern gesegnet und entfalten so ihre volle Kraft. In Caraka-Saṃhitā (Cikitsasthana, Kap. 23) wird die Zubereitung von Mahagandhahasti agada, einer Präparation, die u.a. tierische und pflanzliche Gifte (inkl. Schlangengift) zerstört [Vergiftung], beschrieben. Es heißt dort, daß während der Zubereitung folgendes mantra rezitiert werden sollte:

mama mata jaya jayo nameti me pita ||
so'ham jaya-jaya-putro vijaye'tha jayami ca |
namah puruṣarsihaya viṣnave viśvakarmane ||
sanatanaya krsnaya bhavaya vibhavaya ca |
tejo vrsakapeh saksattejo brahmendrayoryame ||
yatha'ham nabhijanami vasudevaparajayam |
matusca panigrahanam ca sosanam ||
anena satyavakyena sidhyatamagado hyayum |
hilimilisamsprste rakṣa sarvabhesajottame svaha ||

Die Übersetzung lautet in etwa: „Meine Mutter ist Jayā und mein Vater ist Jaya ('Sieg'), da ich der Sohn von Jayā und Jaya bin, werde ich stets siegreich sein. Ich erweise meine Ehrerbietungen Vishnu, dem Erhalter des Universums, Krishna dem Ewigen Herrn und Rudra, dem allgegenwärtigen Zerstörer. Wie es nicht möglich ist Vasudeva (Kṛṣṇa) zu besiegen oder den Ozean auszutrinken, so kannst auch Du nicht besiegt werden. Möge diese Medizin durch diese wahre Aussage erfolgreich sein. O bestes aller Medikamente, beschütze mich!“

Um von ernsthaften Krankheiten befreit zu werden, wird auch Verehrung der vorherrschenden Gottheit der Sonne (Surya; Savitri; Aditya, etc.) mit verschiedenen Gebeten (z.B. Surya-mandalastakam) empfohlen. In Caraka-Saṃhitā wird die Verehrung Shivas für die Heilung von chronischen Fieberzuständen empfohlen.

Anmerkungen

1 mit kaltem Wasser, Milch oder verschiedenen Dekokten

2 Eine genaue Beschreibung aller chirurgischen Maßnahmen findet man in der Susruta-samhita.

3 Das Tragen von Edelsteinen und bestimmten Wurzeln könnte man auch als eine feinstoffliche Form rationaler Therapie betrachten. In Caraka-Saṃhitā wird es unter daivavyapaśriya genannt. Edelsteine werden häufig benutzt in Form von Navratna Malas, Halsketten, die neun edle Steine enthalten, welche in Beziehung stehen zu den neun Planeten der vedischen Astrologie und Astronomie und die den Effekt der Planeten harmonisieren.