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Ayurveda – Therapien

10 Faktoren der Bestimmung einer Therapie

Der folgende Text ist dem Werk Ayurveda-Lehrbuch – Caraka-Saṃhitā-Kompendium (Vimanasthanam 10.3) entnommen.

Atreya nennt zehn Faktoren, die ein Arzt kennen und untersuchen sollte, bevor er eine Therapie initiiert: (1) kārana (Akteur), (2) karana (Instrument), (3) kāryayoni (Quelle der Aktion), (4) kārya (Aktion), (5) kāryaphala (Resultat der Aktion), (6) anubandha (Nachwirkung), (7) desha (Ort), (8) kāla (Zeit), (9) pravritti (Bemühung) und (10) upāya (Prozedur, Mittel der Aktion).

Kārana bezieht sich auf den Akteur als Ursache einer Aktion; karana ist das Instrument, das dem Akteur hilft, seine Aktion auszuführen; kāryayoni bezeichnet die Quelle oder den Anlaß für eine Aktion; kārya ist die Aktion, die der Akteur beabsichtigt auszuführen; kāryaphala ist das Objekt, für das die Aktion ausgeführt wird; anubandha ist der Effekt – gut oder schlecht --, den eine Aktion nach Beendigung hinterläßt; desha steht für den Ort der Aktion; kāla ist Transformation; pravritti steht für Initiation der Aktion und für Bemühung und upāya bezieht sich auf das Verfahren, den Verlauf der Aktion und bedeutet Exzellenz der Faktoren kārana, karana und kāryayoni.

In der Therapeutik haben die zehn Faktoren folgende Bedeutung:

(1) kārana (Akteur) – Arzt,

(2) karana (Instrument) – Medikamente,

(3) kāryayoni (Quelle der Aktion) – Störung des Gleichgewichts der dhātus,

(4) kārya (Aktion) – Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Gleichgewichts der dhātus,

(5) kāryaphala (Resultat der Aktion) – Erlangung von Gesundheit und Glück,

(6) anubandha (Nachwirkung) – Langlebigkeit,

(7) desha (Ort) – Wohnort und Patient (Körper),

(8) kāla (Zeit) – Jahreszeit und Stadium der Krankheit,

(9) pravritti (Bemühung) – Initiation der Therapie und

(10) upāya (Mittel) – Exzellenz des Arztes und korrekte Therapie.

Die drei Quellen der Wissensaneignung konstituieren die Mittel der Examination von kārana, karana, etc. Da Kenntnis der autoritativen Schriften für jeden Arzt obpgatorisch ist, mag man auch nur von zwei Mitteln der Examination sprechen – pratyakṣa und anumāna.

Atreya Muni erklärt nun, wie diese zehn Faktoren im einzelnen examiniert werden sollten.

1. kārana – Erfolgreiche Heilung einer Krankheit ist von den Qualitäten der vier Faktoren Arzt, Helfer, Heilmittel und Patient abhängig. Da der Arzt der wichtigste Faktor für die Heilung ist, muß er sich selbst als erstes prüfen, ob seine Fähigkeiten und sein Wissen ausreichen, um die Krankheit zu beseitigen, d.h. das Gleichgewicht der doṣas wiederherzustellen. Hierzu befähigen ihn folgende Eigenschaften: 1. Kenntnis der medizinischen Texte, 2. praktische Erfahrung, 3. Geschicklichkeit, 4. Besitz der therapeutischen Mittel, 5. Reinheit, 6. normale Funktion der Sinne, 7. Wissen über die Körperkonstitutionen, 8. klare Intelligenz, um den Verlauf der Behandlung zu bestimmen.

2. karana – Medikamente bilden das Instrument, um die Beseitigung der Krankheit zu erreichen, indem sie die doṣas ins Gleichgewicht bringen. Entsprechend ihrer Natur oder ihrer Anwendung gibt es zwei Arten von Medikamenten oder Therapien – spirituelle und rationale. Die spirituelle Therapie umfaßt Beschwörung; Anrufung; das Tragen von Talismanen, Edelsteinen, bestimmten Wurzeln; glückverheißende Riten; Opferdarbrin[-]gungen; Gelübde; Fasten, Bußen; Segnungen; Pilgerreisen; Verehrung von devas, brāhmanas und Heiligen. Zur Kategorie der rationalen Therapie gehören Beseitigung, Besänftigung, Ausleitung von doṣas und andere Methoden, deren Effekt direkt sichtbar ist. Die rationale Therapie läßt sich weiter zweifach unterteilen in Therapie, bei der grobstoffliche Substanzen zur Anwendung kommen und in Therapie, bei der indirekt auf die Krankheit eingewirkt wird durch sanfte Massagen und feinstoffliche Mittel wie das Erschrecken des Patienten, Schock, Überraschung, Drohung, Binden, das Herbeiführen von Schlaf etc.1

3. kāryayoni – Die Störung des Gleichgewichts der dhātus ist die Quelle der Handlung des Arztes. Manifestation von Krankheitssymptomen ist ihr Indikator. Der Gesundheitszustand kann ermittelt werden durch Beobach[-]ten spezifischer Symptome und durch Erkennen ihrer Ursachen (vermin[-]derte doṣas, angeregte doṣas etc.). Untersucht werden muß auch die Frage der Heilbarkeit oder Unheilbarkeit, Milde oder Schwere der Erkrankung.

4. kārya – Inwieweit das Gleichgewicht der dhātus wiederhergestellt ist, erkennt man an folgenden Merkmalen: normale Stimme und Körperaus[-]strahlung; Beseitigung von Schmerzen; Entwicklung des Körpers; Zunahme von Stärke; das Verlangen, Nahrung zu sich zu nehmen; Appetit beim Essen; richtige und zeitige Verdauung einer Mahlzeit; Schlaf zur rechten Zeit; Abwesenheit von Morbidität indizierenden Träumen; leichtes und frohes Erwachen; normale Ausscheidung von Kot, Flatus, Urin und Samen; normale Funktion von Sinnen, Geist, und Intellekt.

5. kāryaphala – Die Erlangung von spirituellem Glück und Gesundheit ist das Resultat der Handlung. Ihre Merkmale sind Zufriedenheit oder Freude von Körper, Sinnen, Geist und Intellekt.

6. anubandha – Die subsekutive Wirkung der Handlung ist Erhaltung des Lebens oder Langlebigkeit. Anubandha ist charakterisiert durch Verbindung (des Individuums) mit dem Lebensatem (prāna-vāyu).

7. desha – Der Ort, wo der Patient lebt und aufgewachsen ist und wo sich seine Krankheit entwickelte, muß untersucht werden hinsichtlich Diät, die die Menschen dort normalerweise befolgen; dem Verhalten der Menschen; der Stärke; des mentalen Zustands; der Krankheiten, die dort häufig anzutreffen sind; der Vorlieben; der Dominanz eines doṣas und des heilvollen und unheilvollen Gebrauchs der Sinne und Dinge.

Der Patient ist der Ort oder das Feld, wo Therapien zur Anwendung kommen, um das Gleichgewicht der dhātus wiederherzustellen. Er wird untersucht hinsichtlich Lebensspanne und Grad der Morbidität, denn davon hängt die Dosis der zu verabreichenden Medikamente ab. Verabreicht ein Arzt einem Patienten eine zu hohe Dosis einer Droge, weil er die Bestimmung von Stärke etc. des Körpers versäumte, kann dies zum Tod des Patienten führen, da starke Drogen, die ein Übermaß an agni und vāyu enthalten, von schwachen Patienten nicht vertragen werden. Deshalb sollten schwache Patienten mit milden Drogen oder Therapien behandelt werden; stärkere Drogen oder Therapien, die keine Komplikationen hervorrufen, können dann langsam und allmählich angewendet werden. Auf der anderen Seite ist die Verabreichung von milden Drogen an starke Patienten nutzlos, da sie keinen Effekt zeigen. Deshalb sollte der Patient in bezug auf a) prakriti (physische Konstitution), b) vikriti (Morbidität), c) sāra (Zustand der dhātus), d) samhanana (Kompaktheit), e) pramāna (Maß), f) sātmya (Eignung), g) sattva (psychischer Zustand), h) āhārashakti (Nahrungsaufnahme und Verdauungskraft), i) shleṣmala vyāyāmashakti (körperliche Kraft bei sportlichen Übungen), j) vayas (Alter) untersucht werden, um Wissen über den Grad seiner Stärke und Morbidität zu erlangen.

8. kāla (Jahreszeiten und Stadium der Krankheit) – Kāla oder Zeit bezieht sich sowohl auf die Jahreszeiten als auch auf das Stadium der Krankheit. Das Jahr wird unterteilt in zwei, drei, sechs, zwölf oder mehr Teile entsprechend der Natur notwendiger Handlungen des Arztes. Auf der Basis des Laufs der Sonne (in nördlicher oder südlicher Bahn – siehe Sutrasthanam 3.2) wird das Jahr zweifach unterteilt; auf der Basis von Hitze, Kälte oder Regen wird es dreifach unterteilt; auf der Basis der Jahreszeiten sechsfach; auf der Basis von Monaten zwölffach und auf der Basis des abnehmenden und zunehmenden Mondes vierundzwanzigfach. Im gegenwärtigen Kontext interessiert uns die sechsfache Unterteilung. Hemanta (Winter), griṣma (Sommer) und varṣā (Regenzeit) sind 3 Jahreszeiten, die durch Kälte, Hitze bzw. Regen gekennzeichnet sind. Dazwischen liegen Jahreszeiten von moderater Natur – prāvrit (frühe Regenzeit), sharat (Herbst) und vasanta (Frühling).

Hier dient die Unterteilung des Jahres in sechs Jahreszeiten der Anwendung der Evakuationstherapien vamana (Emesis) etc. Diese Therapien sollten nur in gemäßigten Jahreszeiten angewandt werden und nicht im Sommer, Winter oder der Regenzeit, denn diese Zeiten wirken sich ungünstig auf den Zustand des Patienten und die Medizin aus.

Während hemanta ist der Körper von übermäßiger Kälte angegriffen; er ist zu rau, und die doṣas haften an den Körperkanälen aufgrund ihrer übermäßigen Festigkeit, die durch kalten Wind verursacht wird. Drogen, die für evakuative Maßnahmen verwendet werden, sind von Natur aus heiß, aber aufgrund der Kälte der Jahreszeit wird ihre Wirkung stark vermindert und außerdem zu vāta-Komplikationen führen.

In der Sommerzeit ist der Körper von großer Hitze angegriffen, doṣas sind zu flüssig aufgrund des heißen Windes und der Sonnenglut. Die Drogen für Emesis etc. werden zu stark und verursachen übermäßige Eliminierung der doṣas und Komplikationen einschließlich extremen Durst.

Während varṣā, der Regenzeit, sind die Körper der Lebewesen übermäßig von Feuchtigkeit durchdrungen, der Effekt der Drogen für Evakuationstherapien ist schwach und der Körper braucht lange, um sich von dem Effekt zu erholen.

Deshalb sollten evakuative Maßnahmen während hemanta, griṣma und varṣā nur in Notfällen und mit äußerster Vorsicht zur Anwendung kommen. Der erforderliche Effekt der Therapien wird dann erreicht durch richtige Kombination, Verarbeitung und Quantität der notwendigen Drogen.

Kāla bezeichnet auch den Zustand des Patienten in bezug zur Anwendung einer Therapie. Die richtige Zeit für die Verabreichung eines Medikaments oder der Anwendung einer Therapie ist kāla und die unrichtige Zeit ist akāla. Die Nützlichkeit und Effektivität eines Medikaments bzw. einer Therapie hängt also unter anderem von kāla als dem Zustand des Patienten oder der Krankheit ab. Zum Beispiel werden Dekokte von Heilkräutern in navajvara (Anfangsstadium von Fieber) nicht als nützlich angesehen und die Anwendung von Dekokten in diesem Stadium der Erkrankung ist akāla oder unzeitig. Nach dem sechsten Tag des Beginns von jvara jedoch ist die Verabreichung von Dekokten nützlich und deshalb kāla oder zeitig.

9. pravritti (Initiation der Therapie) – Die Initiation der therapeutischen Handlung wird pravritti genannt. Sie ist gekennzeichnet durch die kombinierte Aktion von Arzt, Medikamente, Patient und Helfer.

10. upāya (Exzellenz von Arzt etc. und korrekte Therapie) -- Upāya umfaßt die Exzellenz der vier Faktoren Arzt etc. und die korrekte Therapie. Sie ist gekennzeichnet durch das Vorhandensein der benötigten Qualitäten des Arztes und die richtige Anwendung der Therapie unter Berücksichtigung von Ort, Zeit, Dosis, Eignung, Zubereitung der Drogen.

Objekt der Examination

Diese zehn Faktoren (kārana etc.), müssen einzeln examiniert werden. Der Zweck der Examination ist pratipatti – die Aneignung von Wissen über die anzuwendende Therapie, durch die die Krankheit geheilt werden kann.

Wenn sich an einem Patienten Symptome zeigen, die eine bestimmte Therapie indizieren und gleichzeitig andere Symptome, bei denen die gleiche Therapie kontraindiziert ist, muß der Arzt zuerst ermitteln, welche Symptome von ernsthafter und welche von leichter Natur sind und dann seine Behandlung entsprechend initiieren. In einem solchen Fall ist zuerst eine Behandlung entsprechend der ernsthaften Symptome einzuleiten.

In dieser Abhandlung werden allgemeine Regeln und Ausnahmeregeln für die Therapie von Krankheiten erklärt. Der Arzt sollte eine Therapie nach gründlicher Untersuchung und entsprechend der Dominanz (Ernsthaftigkeit) von Symptomen initiieren. Wenn allgemeine Regeln nicht anwendbar sind, sollte er nach Ausnahmeregeln handeln.

Fußnoten

1 Drohung, Binden, Schock etc. sind Therapien, die z.B. bei verschiedenen Formen von unmāda angewandt werden. Drogen, die für die erste Kategorie der rationalen Therapie verwendet werden, sollten untersucht werden in bezug auf ihre natürliche Zusammensetzung, Eigenschaften, Aktion, Dosis, Ort (des Wachstums), Zeit (Sammelzeitpunkt), Art des Sammelns, Haltbarkeit, Zubereitungsart, Effekt auf Konstitution des Patienten und seine Krankheit.